Schulleben

Litera-Tour

24. September 2021

Vom Brand einer Bibliothek bis zur Verwandlung des Ich-Erzählers in einen Vogel, von der autobiographischen Vorahnung eines Mönchs von seiner Ermordung und vom Verschwinden eines Vaters bis hin zu urkomischen Versen: So weit reichte das Spektrum der Themen und Texte, die bei der ersten Eichstätter „Litera-Tour“ am Mittwoch, 22. September, zu hören waren: Rund 60 Besucher hatten sich dazu vor dem Haupteingang des Gabrieli-Gymnasiums in der Dominikanergasse eingefunden, von wo aus sie sich, in fünf Gruppen aufgeteilt, auf einen literarischen Abendspaziergang machten.

An fünf verschiedenen Schauplätzen lernten sie teils unbekannte Facetten der vertrauten Kleinstadt kennen und wurden von bekannten Autoren oder Vorlesern aus der Region erwartet. Hinzu kam, dass an Ort und Stelle oft auch über Geschichte und Charakter der Örtlichkeit informiert wurde oder dass die vorgetragenen Texte in Bezug zu diesem Ort standen.

Da ging es zum Beispiel in den Garten der Buchhandlung Cebulla, wo der regional bekannte Ingolstädter Autor Jens Rohrer an einem Gartentischchen neben einem kleinen Lagerfeuer auf seine Besucher wartete. Zu Beginn klärte der Buchhändler das Publikum darüber auf, dass die Existenz dieses idyllischen Ortes keine Selbstverständlichkeit ist: Da die Eichstätter Stadtspitze in den sechziger Jahren dem Verkehrsfluss mehr Raum bieten wollte, wäre er fast einer geplanten Verbreiterung der Ostenstraße zum Opfer gefallen - wobei man wohl „nicht einmal Scheu vor einer Durchtunnelung der Schutzengelkirche gehabt“ hätte.

Jens Rohrer, der Leiter des Ingolstädter Autorenkreises, zeigte dann eindrucksvoll, weshalb er als versierter Verfasser satirischer Kurzgeschichten gilt: Aus seiner 2018 erschienenen Prosa-Sammlung

„Der Dreiundvierzigjährige, der aus der Haustür trat und spazieren ging“ trug er verschiedeneKurzgeschichten vor, unter anderem den Text „Das bezeichnet dann bestimmt irgendjemand als kafkaesk“: Darin findet der Ich-Erzähler einen Meisen-Knödel, den er zu sich nimmt – worauf Flaum auf seinem Kopf zu sprießen und er zu tschilpen und zu tirilieren beginnt. Die Schlusspointe spielt überdeutlich auf den Einleitungssatz von Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ an: „Als Jens Rohrer eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in eine ungeheure Amsel verwandelt“.

Im Infozentrum Notre Dame war der 1990 in Bamberg geborene Autor, Kulturjournalist und Blogger Andreas Thamm zu hören, der Jugendbücher verfasst. Er las Passagen aus seinem zweiten Jugendroman „Wenn man so will, waren es die Aliens“, worin der Vater des 17-jährigen Josh „einfach so verschwunden“ ist, weshalb sich der Protagonist auf die Suche nach ihm macht. Die Lesung erwies das Buch als geeignete Lektüre für Jugendliche, die etwas erfahren wollen über das Erwachsenwerden, die Relevanz der Familie und was es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen.

Ganz andere Lesekost wurde in der Kapelle des Collegium Orientale geboten, ein Ort, dessen Geschichte Vizerektor Michael Proházka vorstellte. Er las dann aus dem „geistigen Testament des Christian de Chergé“ (1937 - 1996), ein französischer katholischer Priester des Zisterzienserordens strikter Observanz, der zu den sieben Mönchen von Tibhirine gehört, die 1996 in Algerien ermordet wurden. Als Prior des algerischen Trappisten-Klosters Tibhirine hatte Christian de Chergé viel Wissen über die arabische Kultur gesammelt und pflegte große Wertschätzung für den Islam. Als er seine Entführung und mögliche Ermordung ahnt, schickte er seinem Bruder einen versiegelten Brief mit seinem Testament, das er im Dezember 1993 und im Januar 1994 geschrieben hatte. Darin betont er, dass Algerien und der Islam nicht mit Terrorismus gleichzusetzen seien – und er vergibt im Voraus seinem künftigen Mörder, den er dankend als „Du Freund meines letzten Augenblicks“ bezeichnet.

Auf der Empore der Aula des Gabrieli-Gymnasiums wurden die Gruppen dann von Ex-Schulleiter

Adalhard Biederer erwartet, der an den Brand der Peterskirche erinnerte, welcher in der Nacht vom 19. auf den 20. Oktober 1918 den Ostflügel der Kirche völlig vernichtete und das Langhausdach

einstürzen ließ – heute ist dies die Aula des GG. Passend zu dieser infernalischen Eichstätter Nacht trug Biederer dann jene Passage aus Umberto Ecos Roman „Der Name der Rose“ vor, worin die Bibliothek des Klosters ein Raub der Flammen wird.

In der Eichstätter Kapuzinerkirche waren schließlich urkomische Verse von Wilhelm Busch und reichlich mit Wortspielen ausgestattete Reime von Heinz Ehrhardt und Robert Gernhardt zu hören, etwa das „Sonett vom Ende der Spaßgesellschaft“, Texte, die der pensionierte GG-Deutschlehrer Norbert Knabl zum Besten gab – wobei er selbstironisch Bezüge zu eigener Lyrik herstellte. Dabei gelang ihm das Kunststück, immer wieder Brücken zu bauen zwischen der Komik der Texte und manchen zum Ort passenden geistlichen Bezügen. - Mit Musikuntermalung ausklingen konnte die Litera-Tour dann in der Aula des Gabrieli-Gymnasiums bei einem Umtrunk.

Begleitet wurden die Lesungen an den fünf Stationen vom Technik-Team des GG, das für Ton und Ausleuchtung sorgte und auch Filmaufnahmen anfertigte. Den zwölf Mitgliedern dieses Deutsch-P-Seminars und ihrer Leiterin Christiane Schmidtmeyer, die bei der Litera-Tour logistisch vom Infozentrum Notre Dame, dem Collegium Orientale und der Buchhandlung Cebulla sowie der Hofmühl-Brauerei unterstützt worden waren, darf man nachdrücklich zum Gelingen dieser gleichermaßen amüsanten, unterhaltsamen wie auch nachdenklich stimmemden Litera-Tour gratulieren. Und man sollte hoffen dürfen, dass dieses Format in Eichstätt Fortsetzungen finden wird…!