Schulleben

micasa medea

11. November 2022

Was haben Lynyrd Skynyrds Gassenhauer „Sweet Home Alabama“, der frühneuzeitliche englische Politiker Edward Coke („Mein Haus ist meine Burg“), die Schnulzensängerin Connie Francis („Schöner fremder Mann“) und der antike Dichter Euripides miteinander zu tun? Wer am Gabrieli-Gymnasium das Stück „micasa medea“ gesehen hat, kennt die Antwort: In ihrer Interpretation rückt die Mittelstufen-Theatertruppe des GG die antike Figur Medeas als Heimatlose und Heimatsuchende in den Fokus.

„Aber das wissen Sie ja schon“ werfen die sechs Schülerinnen und zwei Schüler der Q11 dem Publikum immer wieder entgegen: Etwas Ahnung von der Tragödie des Euripides sollte man als Besucher also schon haben und rudimentäre Kenntnisse über den uralten Mythos von der Zauberin Medea mitbringen, die maßlos Rache nimmt: Nachdem sie dem Helden Jason beim Raub des Goldenen Vlieses aus Kolchis geholfen hatte, nimmt der sich in Korinth König Kreons Tochter zur Frau und jagt Medea fort. Es kommt zum Mehrfachmord: Medea tötet die Nebenbuhlerin, deren Vater Kreon und ihre eigenen Söhne,

Wie für Spielleiter Bernhard Obermeier typisch, der das Stück seit einem Jahr mit seiner Truppe erarbeitet hat, beginnt das Spiel schon vor dem eigentlichen Anfang. Noch während das Publikum in die Aula strömt und auf den Rängen an der Stirnseite Platz nimmt, wuseln die Spieler kreuz und quer, auf und ab über die Bühne in der Raummitte und postieren dort Pakete und Umzugskisten. „Ich bin nicht Medea, ich bin nur der Bote“ lautet der erste Satz jedes Spielers, als die Handlung beginnt. Medea wird vielmehr durch den Chor verkörpert. Was das Publikum in den folgenden hundert Minuten geboten bekommt, ist Tragödie und Komödie, Collage und Persiflage zugleich - und auf jeden Fall grandioses Entertainment: Denn dieses Stück transponiert das Motiv der Unbehaustheit und des Heimatverlusts weit in andere Geschichten hinein und verwebt es kreativ-fantasievoll mit ihnen. Das Ergebnis ist „ein Textflächenstück nach Euripides“, wie das Programm sagt.

Da handelt etwa eine brüllend komische Szene von Robinson und Freitag (superb in ihrer Darstellung: die beiden Bühnenprofis Jennifer Weck und Luca Zaruba), spielt das Märchen von Hänsel und Gretel (erzählt von Elena Kirschner) eine Rolle, gerät der Beginn des Lukas-Evangeliums zum Playmobil-Weihnachtsspiel, wird Freitag zum Ziegenpeter-Ersatz und „Freidi“ für die schwyzerdütsche Heidi (bezaubernd nicht nur beim Jodeln: Amy Grosz) und die Brüder Grimm treffen auf Ludwig Wittgensteins Sprachphilosophie. Selbst das Technik-Team (Luisa Bussas, Leo Elsner, Jakob Wein unter Leitung von Willi Hefele) erhält in Bänkelsänger-Manier einen Statisten-Auftritt. Die Schulsituation wird reflektiert, wenn König Kreon (radebrechend in köstlichem Kauderwelsch: Tom Kunz) Eigenbedarf anmeldet und Medea des Hauses verweist und dabei im Premieren-Publikum Pädagogen aufs Korn nimmt: „Do you underschtand me? / Do you schpeak my Sprache?“. Als weitere spielfreudige Akteure sind Sonja Peter, Marie Mang und Philine Niederreiter zu erleben.

Eindrucksvoll, wie lange Textpartien im Chor in perfekter Synchronie rezitiert oder ins Publikum geschmettert werden; oft sprechen die Mimen auch paar- oder gruppenweise. Jede Szene kreist um wortspielerische Leitmotive. Auf Lacher und Kracher folgt prompt betretene Betroffenheit, wenn es jäh um heimatlos gewordene Flüchtlingskinder aus der Ukraine, Syrien, dem Jemen geht - das Stück gibt auch Anlass zum Nachdenken.